Was ist Mathematik?

von Jörg Zuther

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Was ist Mathematik?

Wenn Sie etwas berechnen, dann betreiben Sie keine Mathematik, Sie wenden Mathematik an. Im Grunde genommen ist Rechnen eine langweilige Aktivität, die einen hohen Grad an Konzentration erfordert (spannend ist es höchstens, wenn man einige Tricks kennt, um einen Rechenwettbewerb zu gewinnen) und lieber Taschenrechnern und Computern überlassen werden sollte. Das bedeutet aber keineswegs, dass die Menschen nicht Rechnen lernen sollten, denn es ist zumindest mir nicht klar, wie sie auf andere Weise befähigt werden können, absurde Ergebnisse zu erkennen, die von defekten, falsch programmierten oder mit falschen Daten gefütterten Computern und Taschenrechnern geliefert werden.

Mathematik kann man als die 'Grundlagen-für-alle-Arten-von-Berechnungen' schaffende Wissenschaft ansehen. Sie fühlen sich unwohl bzgl. einiger Aspekte einer konplexen und anscheinend chaotischen Wirklichkeit und glauben, dass Sie sich besser fühlen würden, wenn sie diese Aspekte kontrollieren könnten. Falls sie ein Mathematiker sind, fangen Sie an, sich ein abstraktes Modell der Wirklichkeit zu erschaffen, das Parameter für die erwähnten Aspekte enthält. Sie hoffen, dass Sie alle relevanten Faktoren in ihr Modell integriert haben und die Beziehungen zwischen diesen Faktoren korrekt in ihrem Modell implementiert sind. Ihr Modell läßt sich nun als Basis für Berechnungen verwenden, deren Ergebnisse in Bezug auf die Wirklichkeit interpretiert werden können. Ein Beispiel für ein solches Modell stellen die gewöhnlichen Zahlen zusammen mit Operationen wie der Addition und Multiplikation dar, die wir täglich verwenden, um Preise, Mengenangaben usw. zu berechnen. Dieses Modell kann nur in Situationen angewendet werden, in denen sich die betrachteten Entitäten hinreichend konstant verhalten. So erhält man bei normalem Luftdruck und normaler Zimmertemperatur drei Liter Wasser, wenn man ein Liter und zwei Liter Wasser zusammenkippt (jedenfalls im Rahmen der Meßgenauigkeit - ein verschwindend geringer Teil des Wassers verdampft auch bei diesen Temperaturen). Dasselbe ist nicht unbedingt wahr, wenn ich einen Liter einer chemischen Substanz mit zwei Litern einer anderen chemischen Substanz zusammenbringe: falls es eine chemische Reaktion gibt, erhält man vielleicht nur ein oder zwei Liter anstatt drei - oder gar eine Explosion. Und man erwidere mir hier nicht, dass sich Äpfel und Birnen nicht addieren lassen - ein Apfel plus zwei Birnen ergeben drei Stück Obst.

Dies ist die 'angewandte' Sichtweise auf die Mathematik. Allerdings läßt sich Mathematik auch als die Wissenschaft der abstrakten Strukturen ansehen, wie etwa Zahlen, Kreisen, Dreiecken, Funktionen, Netzwerken usw. Viele Mathematiker legen nicht den geringsten Wert auf die Anwendbarkeit der Modelle und abstrakten Sturkturen, die sie erforschen. Sie sind einfach an den abstrakten Strukturen an und für sich interessiert. Vergißt man nämlich all die Komplikationen der Wirklichkeit, lassen sich aufgrund der Einfachheit der Grundlagen oft wunderschöne und elegante Theorien aufbauen, was übrigens der Grund dafür ist, dass Mathematik auch als Kunst wahrgenommen werden kann. Diese Theorien erlauben ein tieferes Verständnis der betrachteten abstrakten Strukturen (ob sie nun in den oben erwähnten Modellen auftauchen oder nicht). Mitunter geschieht es, dass eine rein theoretische Struktur plötzlich als nützlich für eine Anwendung erkannt wird oder eine Anwendung inspiriert, an die ohne Kenntnis der abstrakten Struktur niemand gedacht hätte.

Falls Sie immer noch keinen Schimmer davon haben, was zum Teufel Mathematiker eigentlich den ganzen Tag treiben, dann können Sie es mit The spirit of mathematical research (Englisch/ von Frank Wikström) versuchen. Außerdem könnten Sie mal einen Blick auf Mathematics - What can I do with this degree? (Englisch) werfen, einer .pdf-Datei, die vom Career Services at The University of Tennessee, Knoxville, USA, zur Verfügung gestellt wird.

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